Zeitschätzung, Gedächtnis und Schizophrenie
Description:... Die Schizophrenie ist eine komplexe neuropsychiatrische Erkrankung, die mit verschiedenen psychopathologischen Phänomenen, insbesondere Störungen des Denkens, Wahrnehmens und der Affektivität, einhergeht. Hierzu gehört auch ein Muster kognitiver Defizite, welches Störungen der Aufmerksamkeit und des Arbeitsgedächtnisses umfaßt. Zahlreiche Studien postulieren eine Schädigung und daraus resultierende Dysfunktion innerhalb eines Netzwerkes mehrerer corticaler und subcorticaler Strukturen, insbesondere des Hippocampus, Thalamus und des präfrontalen Cortex. Die Dysfunktion präfrontaler Areale ist Fokus mehrerer Studien mittels bildgebender Verfahren geworden, jedoch hat der Befund einer „Hypofrontalität“ nicht den anatomischen Fokus präfrontaler Pathologie und den Zusammenhang zu kognitiven Defiziten zufrieden stellend klären können. Die vorliegende Untersuchung nimmt ihren Ausgangspunkt in der Störung der Zeitstruktur in Wahrnehmung und Gedächtnis bei Schizophrenie, insbesondere der beeinträchtigten Fähigkeit, zeitliche Informationen wie Dauer oder Reihenfolge zu verarbeiten. In der ersten Studie wurde die funktionelle Magnetresonanztomographie zur Darstellung eines neuronales Netzwerkes benutzt, welches die Fähigkeit zur Zeitschätzung im zeitlichen Bereich ca. einer Sekunde vermittelt. Hierbei konnte zunächst bei gesunden Probanden gezeigt werden, dass Aktivierungen in dorsolateral präfrontalen, anterior cingulären und superior temporalen Cortices, sowie im Thalamus und Nucleus caudatus bei Zeitschätzung ähnlich auftreten wie einer vergleichbaren Arbeitsgedächtnisaufgabe (Frequenzschätzung). Eine Region im rechten Putamen zeigte hierbei jedoch zeitspezifische Aktivität und stellt somit ein potentielles neuronales Korrelat für zentrale Zeitverarbeitung dar. Schizophrene Patienten zeigen im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden eine Minderaktivierung des präfrontostriatalen Netzwerkes in beiden Aufgaben. Zeitspezifische Hypoaktivierungen zeigen sich sowohl im Putamen wie auch medialem präfrontalen Cortex und Thalamus, was als eine kombinierte Störung basaler Zeitverarbeitungsmechanismen im Striatum wie auch präfrontostriataler Arbeitsgedächtnisnetzwerke interpretiert wird. In einer weiteren Studie wurde mittels Positronenemissionstomographie der corticale Glucose-Metabolismus während einer verbal-seriellen Gedächtnisaufgabe bei Patienten mit Schizophrenie oder schizotypischer Persönlichkeitsstörung, sowie gesunden Kontrollprobanden untersucht. Ein atlasbasiertes Verfahren für die Auswertung der Daten erlaubte die Analyse einzelner corticaler Brodmann Areale und deren Aktivitätsmuster. Patienten mit Schizophrenie zeigen ein Defizit in der Wiedergabe semantischer Informationen und einen verstärkten Rückgriff auf serielle kognitive Strategien zur Kompensation. Auf neuronaler Ebene geht dies einher mit einem Hypometabolismus in mehreren präfrontalen Arealen, insbesondere des dorsolateralen, ventrolateralen und medialen Präfrontalcortex, nicht jedoch des orbitofrontalen Cortex; für den frontopolaren Cortex (Brodmann Areal 10) zeigt sich gar eine höhere Aktivierung bei schizophrenen Patienten. Das Muster des gestörten Glucose- Metabolismus lässt sich mit einer Störung in präfrontalen und temporalen Regionen erklären. Hierbei scheinen unter Rückgriff auf ein Modell von Goldman-Rakic auch präfrontale Regionen für die Verarbeitung verbaler Information dysproportional stärker betroffen zu sein als solche für die Verarbeitung räumlicher Informationen. Das Muster der Veränderungen lässt sich nicht erklären mit differentieller Reduktion des Metabolismus über verschiedene Typen corticaler Areale, was dem Postulat einer primären Beeinträchtigung heteromodaler Assoziationscortices bei Schizophrenie widerspricht. Patienten mit schizotypischer Persönlichkeitsstörung zeigen leichter ausgeprägte Reduktionen des corticalen Glucose-Metabolismus, welcher im Muster weitgehend dem der schizophrenen Patienten folgt. Abweichungen ergeben sich für mediale temporale Areale und Brodmann Area 10 (frontopolarer Cortex), für den diese Patienten eine verstärkte Aktivität zeigen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse multifokale frontale Funktionsstörungen bei Schizophrenie und – schwächer ausgeprägt – bei schizotyper Persönlichkeitsstörung, die als neuronale Grundlage gestörter Zeitstruktur im Gedächtnis gelten können. Das Muster corticaler Funktionsdefizite scheint ferner Grundlage der unterschiedlich stark ausgeprägten Störungen innerhalb des „schizophrenen Spektrums“ zu sein.
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