stern CRIME 38/2021 - Die letzte Spur
Er hat Angst. Er rennt in ein Feld. Keiner sieht ihn je wieder. Der Fall Lars Mittank
Description:... Es ist der Albtraum aller Eltern: Der Sohn oder die Tochter sind plötzlich nicht mehr dort, wo sie doch eigentlich sein müssten, wo sie eben noch waren. Sie tauchen nicht mehr auf. Nicht nach Tagen, nicht nach Monaten, nicht nach Jahren. Und irgendwann verlieren sich die Spuren. Etwa 100 000 Menschen werden in Deutschland jedes Jahr als vermisst gemeldet. Die Hälfte der Fälle erledigt sich nach einer Woche, 80 Prozent klären sich innerhalb eines Monats auf. Kleinkinder kehren fast immer binnen weniger Stunden oder Tage zurück, bei Jugendlichen und Erwachsenen dauert es meist länger. Manche dieser Fälle bleiben jedoch ungelöst und rätselhaft. Einer der vielleicht rätselhaftesten ist der von Lars Mittank, der in Bulgarien über einen Zaun stieg und verschwand. Unser Kollege Moritz Herrmann erzählt in der Titelgeschichte dieser Ausgabe von Lars' Mutter, die auch nach sieben Jahren ihren Sohn nicht aufgibt. Oft ist zu beobachten, dass gerade Eltern in solch einer Situation nach jedem Halt greifen, der sich bietet. Sie ermitteln auf eigene Faust weiter, gehen selbst abstrusen Hinweisen nach, nehmen jede Hilfe an, auch von dubiosen Personen, folgen etwa Hellsehern, die behaupten, die vermisste Person erspürt zu haben. Es ist oft der verzweifelte Versuch, ihrer eigenen Ohnmacht zu begegnen. Für tot erklärt werden können Verschollene in Deutschland im Allgemeinen nach zehn Jahren. Die Rechtslage ist dann geklärt. Doch Sicherheit, was mit den Vermissten geschah, gibt es für deren Familien auch dann nicht. Mit der quälenden Ungewissheit über das Schicksal des geliebten Menschen gehen Angehörige unterschiedlich um. "Wir haben ihn nicht tot gefunden, also lebt er", sagt Sandra Mittank. Also lebt die Hoffnung, dass Lars eines Tages doch noch nach Hause kommt. Es ist von außen schwer zu sagen, ob das ihr fester Glaube ist oder ein Selbstschutz gegen die Erkenntnis, ihren Sohn endgültig verloren zu haben. Beides wäre nur allzu verständlich.
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