Als Architektin, die bereits sowohl theoretisch als auch praktisch in der Architektur gearbeitet hat, stelle ich mir die Frage, wie mit der Verantwortung für den gebauten Raum umgegangen werden muss. Im Bereich der praktizierenden Architektur wird wenig wissenschaftlich geforscht und gearbeitet;gleichzeitig sind es die ArchitektInnen, die unsere gebaute Umwelt gestalten und formen und so Einfluss auf die gesamte Gesellschaft ausüben. Diesem Forschungsbedarf aus architektonischer Perspektive soll diese Arbeit nachkommen. Aus diesem Grund ist die vorliegende Doktorarbeit an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis angesiedelt.
In der Stadt ist die Beziehung von Architektur und Gesellschaft besonders stark ausgeprägt und ablesbar. Die Struktur und somit auch das Bild der Stadt verändern sich dynamisch. Anhand einer konkreten Typologie – der Shopping-Mall – soll im Rahmen dieser Arbeit eine Momentaufnahme der Beziehung zwischen Stadtbild und Architektur getätigt werden. Da die Fassade – als unmittelbare Erscheinungsfläche der gebauten Struktur – in der Beziehung von Stadtbild und Architektur eine besondere Rolle spielt, liegt der Schwerpunkt der Feldforschung auf der Untersuchung ebendieser.
Der Handel markierte einen der Hauptgründe für die Entstehung von Städten und war überdies stadtbildprägend;daraus entstand eine zunächst untrennbare Verbindung von Stadt und Handel. Das Konsumverhalten der Gesellschaft sowie die unmittelbar damit zusammenhängende Konsumtypologie in der Architektur waren in den letzten Jahrhunderten jedoch immer wieder starken Wandlungen unterworfen. Um die Typologie der Shopping-Mall in ihrer gegenwärtigen Form zu verstehen, werden in der vorliegenden Arbeit die herausstechenden Typologien der Vergangenheit, die als Stellvertreter ihrer Epoche angesehen werden können, untersucht. Diese umfassen den Marktplatz, die Markthalle, die Passage, das Warenhaus und die gegenwärtige Shopping-Mall.
Die Geschichte der Shopping-Mall beginnt mit dem nach Amerika emigrierten jüdischen Architekten Victor Gruen. In seinem Versuch, die europäische Stadt nachzuempfinden, entwarf er die ersten Shopping-Malls als offene Konzepte in den Suburbs von Nordamerika. Die aus Amerika reimportierte Shopping-Mall stellte die erste Konsumarchitektur in der Typologiegeschichte dar, die die Stadt zu Gunsten der Grünen Wiese verlassen hat. Die Erkenntnis, dass der Handel nicht mehr auf die Stadt angewiesen ist, die Stadt jedoch den Handel als Belebungsfaktor benötigt, folgte unmittelbar und die Shopping-Mall hielt – anfangs strukturell unverändert – Einzug in die Innenstädte. Durch den Online-Handel steht die Shopping-Mall im 21. Jahrhundert einem dominanten und unberechenbaren Konkurrenten gegenüber, was die Shopping-Mall-EntwicklerInnen zu einem Umdenken zwingt. Darin liegt eine große Chance, die von der Architektur wahrgenommen und genutzt werden muss. Das Phänomen der Konsumgesellschaft und damit zusammenhängend der Handelsarchitektur im 21. Jahrhundert ist aus diesen Gründen von aktueller Relevanz.
Durch seine multizentrale Struktur sowie seine ausgeprägte Handelsarchitekturgeschichte bietet sich Berlin als Forschungsfeld an. Die Feldforschung untersucht anhand von zwei ausgewählten Fallbeispielen – der Alexa Shopping-Mall und der LP12 Mall of Berlin –, inwieweit die großmaßstäblichen innerstädtischen Shopping-Malls in Berlin ihr unmittelbares Umfeld und Stadtbild prägen, und darüber hinaus, welche Rolle die Fassade in diesem Kontext spielt. Die beiden Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass sie in den letzten zehn Jahren eröffnet wurden, sich in der historischen sowie aktuellen Mitte Berlins befinden und Verkaufsflächen von über 50.000 m2 aufweisen. Das Forschungsergebnis soll einen Beitrag und einen Anstoß zu architektonisch-sachlichen Diskussionen leisten.
Bei der Neuausrichtung ist es lohnenswert, sich des historisch vorhandenen typologischen Reichtums bewusst zu werden und sich aktiv am Diskurs zu beteiligen. Im historischen Verlauf hat sich die Fassade schlussendlich in der Shopping-Mall verdoppelt, die repräsentativen Schaufenster sind ins Innere gewandert und zurück blieben geschlossene Rückseiten, an denen durchlässige Stadtfassaden für die Qualität des öffentlichen Raumes zwingend notwendig sind. Die äußere Fassade kommt ihrer Verantwortung als Schnittstelle der beiden Sphären Privatheit und Öffentlichkeit nicht mehr nach. Marktgesteuerte betriebswirtschaftliche Ziele (geschlossene Fassaden) stehen dem öffentlichen kollektiven Interesse (durchlässige Fassaden) gegenüber.
Das architektonisch räumliche Erlebnis bildet ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Online-Handel und muss als Gewinn für Architektur, Stadtraum und BetreiberIn bei der Herausbildung einer neuen Typologie diskutiert werden. Der derzeitigen Praxis, nur die Fassaden als Wettbewerbe zu vergeben, liegt die streitbare Annahme der EntwicklerInnen zu Grunde, das Äußere von Gebäuden von deren Innerem trennen zu können. Die Entwicklung von geschlossenen Fassaden (Alexa) zur reinen Perforierung der Fassade (LP12 Mall of Berlin) zeigt allerdings, dass Fenster nicht genutzt, sondern mit Folie verklebt werden, um Lagerflächen zu generieren, wenn sich das Innere strukturell nicht mitverändert. Die Fassade muss wieder zu einer lebendigen Schnittstelle werden, die den öffentlichen Raum aktiviert und bespielt.
As an architect who works both theoretically and practically, I question the way we deal with our responsibility for the built space that surrounds us. There is little scientific research in the practical world of architecture about the impact of built structures on city spaces. At the same time, architects design and form our environment, thereby making a significant impact on society. The aim of this research is to work from an architectural point of view to fill this gap. The research focuses on the interface of theory and practice. The relation between architecture and society is especially distinct and readable in the city. Changes in the structure and image of the city are extremely dynamic. On the basis of a specific typology—the shopping mall—the relation of the city’s image and architecture will be analyzed. The facade as the surface of the built structure, plays an outstanding role in this relationship.
Trade was a main starting point in forming cities. In the beginning, trade and the city were inseparable. Consumer society and the connected architecture typology were subject to major transformations in the past centuries. To understand the current typology of the shopping mall, the past typologies as representatives of their eras are reviewed. These are the market square, the market hall, the passage, the department store, and the current typology shopping mall. The history of the shopping mall starts with Victor Gruen, a Jew who immigrated to America in 1938. Missing the European street style of shopping, he invented the first shopping mall as an open concept in the suburbs of North America.
The shopping mall—reimported from America to Germany—was the first typology to leave the city center and move to the suburbs. Soon realizing that the function of trade did not need the city anymore, whereas the city did need trade, developers moved the shopping mall back to the inner city, initially with an unchanged concept and layout. Facing e-commerce as a strong new competitor, developers are forced to rethink the shopping mall’s typology to maintain its strength in the market. This challenge provides an opportunity for architecture to be recognized and become relevant in the development of the new shopping-mall typology. The phenomenon of the consumer society and the cohesive trade architecture of the 21st century is of current relevance.
Berlin offers a wide range of characteristics as a research field, such as its multicentral structure with its diverse and strong trade architecture history. The field research analyzes how large-scale inner city shopping malls affect their immediate surrounding space and form the city image and what role the facade plays in this context. The case studies are Alexa and LP12 Mall of Berlin. Both case studies stand out by being newly established in the last 10 years, being located in the historic center of Berlin, and having a sales area of over 50.000 m2. The resulting research will initiate and contribute to an architectural-scientific discourse.
It is beneficial to use the rich trade typology history for the creation of a new shopping mall typology and to take part in the discussion. In the historic development of the typology, the facade doubled and left a closed cover outside, where the city is dependent for permeability. The cover doesn’t function as a transition interface between the public and private space anymore. Market-based economic goals (no permeability in the facades) face public collective interests (permeable facades). The architectural experience is a unique offline feature and must be seen as a benefit for the city and developer. The current practice to invite architects only for facade competitions underlies the disputatious process of looking at the inside and the outside of buildings separately. The development from the impermeable facade (Alexa) to the perforated facade (LP12 Mall of Berlin) indicates that if the inside does not change simultaneously, the user of the space will not acknowledge the opening and use it in that sense. The activation of the city space has to be produced through lively permeable interfaces that communicate between the inside and outside.