'Öffentlich' und 'privat' im Mittelalter
zu einem Problem historischer Begriffsbildung ; vorgetragen am 22.6.1996
Description:... Dieses Begriffspaar ist ein Beispiel für die forschungspraktische Schwierigkeit, eine historisch adäquate und international verständliche Beschreibungssprache für Phänomene zu finden, die sich ausschließlich weder mit vergangenen noch mit gegenwärtigen Begriffen bezeichnen lassen. Mißverständnisse sind unvermeidlich, wo eine elementare Sprachdifferenz nicht bewußt gemacht wird: Alle auf das lateinische Begriffspaar publicus / privatus zurückgehenden Verwendungen in der Romania unterscheiden sich vom deutschen Äquivalent dadurch, daß sie nicht primär die Offenkundigkeit des Öffentlichen und die Heimlichkeit oder Intimität des Privaten hervorheben, sondern Universalität und Partikularität, das Ganze und das Einzelne. Eine mediale Wahrnehmungskategorie steht einer politisch-sozialen Funktionskategorie gegenüber. Die sich erst im frühen 19. Jh. durchsetzende Bedeutungserweiterung zum substantialistischen Kollektivbegriff "Öffentlichkeit" und die Diskussionen um dessen Realitätsgehalt begründen hier vollends den Sonderweg der deutschen Wissenschaftssprache. Ein Vergleich der normativen Vorgaben des aufklärerischen Öffentlichkeitsbegriffs und des alteuropäischen Gemeinsamkeitsbegriffs res publica soll deskriptiv ein Gleichgewicht herstellen zwischen diesen in das deutsche Wort "öffentlich" einmündenden Traditionen und die Angst vor dem terminologischen Anachronismus beschwichtigen: Es wäre unnötig skrupulös, ein in Antike und Mittelalter allgemein- und fachsprachig derart verbreitetes Begriffspaar wie publicus / privatus in vormodernen Zusammenhängen nur deshalb zu meiden, weil die neudeutschen Übersetzungen dafür begriffsgeschichtlich Unkundige zu falschen Assoziationen mit dem Öffentlichkeitsbegriff der letzten zweihundert Jahre verführen könnten.
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