Alois Riegl und die Kunstgeschichte als Kulturgeschichte
Überlegungen zum Frühwerk des Wiener Gelehrten
Description:... ger: Im Zentrum der Arbeit steht die Frage, ob es moeglich ist, den Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl (1858-1905) auch als Kulturhistoriker zu lesen. Ausgangspunkt der Ueberlegungen ist die erstaunliche Tatsache, dass sich die akademische Kunstgeschichte in ihren Gruendungsjahren expressis verbis von der Kulturgeschichtsschreibung alter Praegung distanziert hat. Die damals - um 1900 - inaugurierte Stilgeschichte, die untrennbar mit dem Namen Alois Riegl verbunden ist, entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte bis etwa 1950 nachgerade zu einem wissenschaftlichen Paradigma. Doch so sehr auch die strenge Konzentration auf die reine Form den lange vermissten wissenschaftlichen Anspruch sichern half, so sehr haftet Riegl bis heute der Ruf des trockenen Formalisten an. Dieses Urteil besteht jedoch zu Unrecht. Denn entgegen der jahrzehntelang verbreiteten Ansicht handelt es sich bei Riegl keineswegs um jenen engstirnigen Gelehrten, dessen Aufmerksamkeit einzig der Beschreibung von Kunst in ihrem aesthetischen Eigenwert galt.
Weit davon entfernt, das Kunstwerk von seinem Kontext zu entkoppeln, stellte Riegl konsequent die Frage nach der kulturellen Bedeutung und den historischen Bedingungen der kuenstlerischen Form. Dies wird besonders in der kleinen, essayistisch angelegten Schrift Volkskunst, Hausfleiss und Hausindustrie (1894) sichtbar. Das schmale Buch, das als eine der Gruendungsschriften der Europaeischen Ethnologie gilt, stellt die Frage nach Gegenwart und Zukunft des Kunsthandwerks. Um dieses sei es - so Riegl - uebel bestellt: Die zunehmende Industrialisierung bedrohe die Volkskultur massiv, politische Gegenmassnahmen haetten sich als voellig wirkungslos erwiesen, und deshalb sei es die Pflicht sowohl der Politik als auch der Wissenschaft, die Reste jener Kultur zu sammeln und zu bewahren. Was sich als wortgewaltiges Plaedoyer eines Kunsthistorikers und Museumsmannes liest, entpuppt sich bei naeherem Hinsehen als Versuch, eine Kunsttheorie zu entwickeln, die oekonomische Fragen mitdenkt. In Uebernahme sozialpolitischer Paradigmen einerseits und nationaloekonomischer Ueberlegungen andererseits stellt Riegl die Forderung auf, bei der Betrachtung von Kunst auch ihr kulturelles Umfeld zu berücksichtigen. Indem Riegl dieses Credo seinen Ausfuehrungen zugrunde legte, partizipierte er an einem akademischen Diskurs, der besonders in Deutschland gefuehrt wurde und dessen prominenteste Vertreter Werner Sombart und Max Weber waren.
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