Wovon sie nicht wusste
Meine Frau habe ich kennengelernt, als wir beide sechzehn waren. Sehr bald wurde sie mein Ein und Alles. Auch jetzt, nach zwanzig Jahren, ist sie das noch immer.
Alle hielten Lynn für verrückt. Von dem Augenblick an, als ich sie kennengelernt habe, haben mich alle gewarnt, dass sie mich kaputtmachen würde. Das war mir egal. Ich wollte sie – verrückt oder nicht. Immer.
Was dabei niemandem auffiel: Lynns Wahnsinn wurde von meinem bei weitem übertroffen. Ich wusste ihn bloß besser zu verheimlichen. Ich verbarg meine Verrücktheit im Schatten, während Lynn ihre im Sonnenschein zur Schau trug. Aber ich wusste, dass der Wahnsinn da war, ganz dicht unter der Oberfläche. Ich habe nur nie jemandem davon erzählt.
Letztendlich war es so, dass unsere Beziehung zum Teil auf Dingen beruhte, von denen nur wir beide wussten; das war unvermeidlich. Aber was auch immer passieren mochte, einer Sache war ich mir sicher: Ich liebte Lynn von ganzem Herzen.
Ich hatte immer gedacht, dass die Dinge, von denen Lynn nichts wusste, sie auch nicht verletzen könnten … bis dann das Gegenteil eintrat.
Schlussendlich war es nicht ihr Wahnsinn, der mich kaputtgemacht hat. Nein, es war mein eigener.
Was er sie vergessen ließ
Man hat mich schon als skrupellos bezeichnet. Als gefühllos. Als Zicke. Und Schlimmeres.
Schon als ganz junges Mädchen habe ich gewusst, dass ich nicht wie andere Frauen bin. Ich habe mir nie einen Mann zum Heiraten gewünscht und dazu zweikommafünf Kinder. Ich habe mich nie danach gesehnt, in einem Haus mit Jägerzaun zu wohnen, also einem Haus, das man dann kindersicher gestalten muss. Und diese Sache mit „dann lebten sie glücklich und heiter bis ans Ende ihrer Tage“ war auch noch nie mein Ding. Ich war vollauf damit zufrieden, mich um meine Schwester Lynn zu kümmern. Doch eines Tages hat Lynn niemanden mehr gebraucht, der sich um sie kümmert. Sie hat mich nicht mehr gebraucht. Keine ihrer „Freundinnen“ hat mich noch gebraucht. Dabei hatte ich mich so schön daran gewöhnt, als Einzelgängerin zu leben. Aber plötzlich hat mir das überhaupt nicht mehr gefallen.
Dann habe ich Will Clark kennengelernt. Er brauchte jemanden, der ihm mit seinem Bürokram hilft und ich brauchte eine Aufgabe und da bin ich einfach zu ihm gegangen. Ich bin einfach in sein Leben getreten und habe bei ihm alles auf den Kopf gestellt. Und aus dem, was ganz harmlos als witziger Teilzeitjob angefangen hatte, haben sich auf einmal wahre Gefühle ergeben – wahre Gefühle und wie soll ich sagen … Liebe?
Für kurze Zeit hat Will mich vergessen lassen, dass ein normales Leben nichts für mich ist und dass Heiraten und eine Familie nicht zu den Dingen gehören, die das Schicksal für mich vorgesehen hat. Doch eines Tages war ich gezwungen, mir diese Tatsache ins Gedächtnis zu rufen. Und ich musste mich entscheiden. Schlussendlich musste ich mich entscheiden, ob er es ist, den ich retten will, oder lieber seine Ex-Frau.
Wie auch immer ich mich entscheiden würde – am Ende würde keiner mehr übrig sein, der mich retten würde.